Rechtsanwalt Dr. Jörg Dauernheim ist Fachanwalt für Steuerrecht und Insolvenzrecht der Kanzlei Dauernheim Rechtsanwälte. Im Interview appelliert er an Geschäftsführer die Antragspflicht ernst zu nehmen und skizziert den Weg zur Beseitigung der Insolvenzgründe.

Während der Corona-Pandemie war die Insolvenzantragspflicht zeitweise ausgesetzt. Was ändert sich ab Oktober?

Dr. Jörg Dauernheim: Durch das im Eilverfahren am 27. März 2020 mit dem schönen Namen Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht hatte der Gesetzgeber die Stellung eines Insolvenzantrages bis zum 30.09.2020 ausgesetzt. Vorausschauend hatte der Gesetzgeber bereits in § 4 COVInsAG für das Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz eine Ermächtigung erlassen, um unkompliziert eine Verlängerung des Aussetzungstatbestandes der Antragsverpflichtung bis zum 31.03.2021 zu erlassen. Infolge der sich nicht abschwächenden Pandemiesituation sah sich das BMJV veranlasst die Aussetzungsfrist bis zum 31.12.2020 zu verlängern und zwar nur für den Insolvenzgrund der Überschuldung.

Warum die Aussetzung der Antragsfrist überhaupt rechtlich geboten ist, möchte ich kurz zum besseren Verständnis erläutern.

Trat Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung bei einer juristischen Person, GmbH oder Aktiengesellschaft ein, so waren Geschäftsführer oder Vorstand verpflichtet unverzüglich, jedoch spätestens binnen 3 Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrundes einen Insolvenzantrag zu stellen. Dieselben Regelungen galten auch für die Vertreter von Personengesellschaften wie z.B. der Gesellschaft bürgerlichen Rechtes, der offenen Handelsgesellschaft und der Kommanditgesellschaft.

Wurde die Antragstellung innerhalb einer Dreiwochenfrist von dem Verpflichteten versäumt, so drohten erhebliche strafrechtliche Konsequenzen und die persönliche Haftung.

Mit der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wollte man den Geschäftsleitern eine Sanierung des Unternehmens ermöglichen, sofern die Gesellschaft infolge der Pandemie Situation insolvent geworden ist. Die Antragsverpflichtung blieb und bleibt aber bestehen, wenn die Insolvenzgründe nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruhen oder wenn keine Aussicht besteht, die eingetretene Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Gesetzlich wird die Möglichkeit zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit angenommen, wenn das Unternehmen noch bis zum 31. 12. 2019 zahlungsfähig war.

Die Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrages bei bestehender Zahlungsunfähigkeit besteht nunmehr wieder.

Die Öffentlichkeit und die jeweiligen Verpflichteten haben scheinbar diese veränderte rechtliche Situation noch nicht wahrgenommen. Allgemein herrscht noch die Meinung vor, die Aussetzung des Insolvenzantrages würde bei beiden Insolvenzgründen, der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung, gegeben sein.

Somit müssen sich die Geschäftsleiter ab dem 01.10.2020 nunmehr mit der Frage vertieft auseinandersetzen, inwieweit Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft vorliegt oder nicht.

Liegt pandemiebedingt Zahlungsunfähigkeit vor, so bleibt den Verantwortlichen nichts anderes übrig, als einen Insolvenzantrag zu stellen. Die gesetzliche Definition der Zahlungsunfähigkeit ist teilweise unbekannt oder wird falsch interpretiert. Die gesetzliche Vorgabe ist wenig hilfreich.

Nach § 17 InsO ist ein Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Mit welchen Kriterien man die Zahlungsunfähigkeit ermittelt, möchte ich kurz darstellen. Die Zahlungsunfähigkeit ist im 1. Schritt von der Zahlungsstockung zu unterscheiden. Eine Zahlungsstockung liegt vor, wenn der Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person oder Gesellschaft benötigt, um sich die möglichen finanziellen Mittel zur Begleichung der fälligen Verbindlichkeiten zu beschaffen.

Ist eine nicht zu schließende Liquiditätslücke i.H.v. 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten oder mehr gegeben, so ist Zahlungsunfähigkeit eingetreten. Verbindlichkeiten sind fällig, wenn der Gläubiger diese ernsthaft einfordert. Prüfen kann man die Zahlungsunfähigkeit nur, wenn ein entsprechender Liquiditätsstatus erstellt wird. Dieser Status muss auf den Prüfungszeitpunkt die verfügbaren liquiden und kurzfristig innerhalb eines Zeitraums von 3 Wochen flüssig zu machenden Mittel beinhalten. Der so ermittelten Liquidität sind dann fälligen und die kurzfristig fällig werdenden Verbindlichkeiten gegenüberzustellen. Errechnet sich eine Deckungslücke von 10 %, ist eine Zahlungsunfähigkeit gegeben. Die Prüfung des Bestehens einer Zahlungsunfähigkeit ist ein hoch komplexer Vorgang und kaum von einem Geschäftsleiter ohne Hinzuziehung fachlicher Hilfe durchzuführen.